Da ich in meiner Vorstellung immer 82 Jahre alt werde, rückt die persönliche Halbzeit demnächst wieder einen großen Schritt näher. Es ist schon irre, wie schnell die Zeit vergeht und dass man plötzlich ein Alter inne hat, in dem die eigenen Eltern viele Jahre verheiratet und schon längst wieder geschieden waren oder die eigene Großmutter bereits Großmutter war. Einige Dinge und Personen die einem damals sehr wichtig waren, sind es auch heute noch – andere wiederum haben stark an Bedeutung verloren. Ähnlich verhält es sich mit Zielen, Erwartungen und Träumen. Es fällt irgendwie schwer ein Resümee zu ziehen, wenn die Welt nicht unweit von einem in Trümmern steht, tausende Menschen ihr Leben verlieren und sich global gesehen alle Fronten verhärten und auf die wichtigen Dinge vergessen wird. Da darf man es definitiv als Glücksfall erachten, in einem friedvollen Wohlstandsstaat wie Österreich zu leben, selbst wenn es von Politikern geführt wird, deren Eigeninteressen weit über dem Wohl der Allgemeinheit stehen. Ob es also auf Grund der globalen Lage moralisch gerechtfertigt ist, sich auf persönlicher Ebene zu viele Gedanken zu machen, ist für mich eher fraglich.

Die schönen Dinge

Es ist aber deutlich erkennbar, dass ich in den letzten Jahren genügsamer und bescheidener geworden bin. Der Drang immer höher hinaus zu wollen, nur um bei dem nächsten erreichten Ziel doch wieder unzufrieden zu sein, weil schon wieder das nächste gesetzt wurde, lässt spürbar nach. Die Zufriedenheit mit dem was man hat, ist deutlich gestiegen – auch wenn es nur kleine Dinge und Freiheiten sind. Der Minimalismus setzt sich auf jeder Ebene durch und die absolut bescheuerte Eigenart, sich laufend mit anderen zu vergleichen oder Erwartungen anderer zu erfüllen, ist zum Glück schon länger, nahezu komplett passee. Man wird im Alter wohl genügsamer, kennt seine Stärken und Schwächen und schätzt die kleinen und schönen Momente vielleicht noch ein wenig mehr. Also ganz nach Franz Kafka, der gemeint hat:

Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, Schönes zu erkennen, wird nie alt werden.”

Franz Kafka

Für mich sind das Momente mit meinem Neffen oder das süße Lachen meiner Nichte, ein guter Kaffee am Morgen, in Ruhe ein Kunstwerk in einem Museum anzusehen oder ein altes Pärchen im Park, das kaum noch gehen kann aber immer noch Händchen hält. Es sind goldene Sonnenaufgänge und rosa Sonnenuntergänge, ein ernst gemeintes Danke von einem Kollegen oder ein paar Stunden auf dem Tennisplatz oder im Fitnesscenter. Es ist ein schöner Song zur richtigen Zeit, eine lustige Bemerkung meiner Schwester, inspirierende Zeilen in einem Buch oder ein unbeschwerter Tag mit einer Person, die gerne Zeit mit mir verbringt. Es sind längst vergangene Momente, die man heute doppelt Wertschätzt, dass man sie erleben durfte. Genauso wie eine Fitnesswoche in Fuerteventura in mitten von hunderten sportbegeisterten Menschen.

Ruhig doch stets neugierig

Mit einem mittleren Ruhepuls von 60 gehöre ich bestimmt nicht zur getriebenen, hektischen und aufgewühlten Sorte Mensch und das wird auch in der zweiten Hälfte meines Seins so bleiben. Organisiert, fokussiert, sportlich, kreativ, minimalistisch, ruhig doch stets neugierig werde ich also weiter meinen Weg gehen und mich überraschen lassen, was ich noch alles erleben darf, wer mir neues oder altes über den Weg läuft und welch unerwartete oder schönen Momente mir noch vergönnt sind. Und auch die weniger schönen Zeiten werde ich so nehmen wie sie kommen, gehören sie doch genauso zum Leben dazu. Über die Frauen und die Liebe – bleiben diese doch unberechenbar – werde ich diesmal nichts sagen, lediglich ein sehr treffendes Zitat von Karl Farkas erwähnen:

Die Frauen verlangen Unmögliches: Man soll ihr Alter vergessen, aber sich immer an ihren Geburtstag erinnern.

Karl Farkas

Die nahe Zukunft

Was die nahe Zukunft bringt, darüber kann man nur spekulieren. Vom Ende der Selbstständigkeit, bis hin zu neuen Freiheiten und einem Leben in verschiedenen Ländern Europas steht vieles im Raum. Was bleiben wird ist der Sport, die liebe zur Kunst und ein offenes Ohr für all jene, die einen objektiven Ratschlag benötigen. Aus einem Flugzeug und 4000 Meter Höhe werde ich demnächst auch noch springen und mich dann “zur Halbzeit” nach Florenz begeben, um mir in aller Ruhe Botticellis “Die Geburt der Venus” und “Primavera” sowie Michelangelos David anzusehen. Mit einem dankbaren Blick auf die Werke dieser verehrten Künstler ist es dann gewiss ein gutes Gefühl, zufrieden und voll Vorfreude in diese zweite Halbzeit meines Lebens zu schreiten.

Die Leute, die nicht zu altern verstehen, sind die gleichen, die nicht verstanden haben, jung zu sein.

Marc Chagall

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